Richard Strauss Die schweigsame Frau - Akt 3 Lyrics

DRITTER AUFZUG

Schon ehe der Vorhang aufgeht, hört man kräftiges Gehärnmer und Gepolter hinter der Szene

Gleiches Zimmer, nur in grösster Unordnung. Eine Reihe Arbeiter, verkleidete Mitglieder der Schauspieltruppe, schlagen Nägel in die Wände, andere bringen mit viel Getöse Kisten, Spiegel und Geräte die Treppe herauf und stellen sie krachend nieder. Dazwischen immer das rhythmische Einschlagen der Nägel in die Wand

ERSTE SZENE

AMINTA
Hier die Spiegel, die Konsolen,
Aber eilt euch, vorwärts, flink!
Zu andern
Hier die Florentiner Lüster
Und die fläm'schen Gobelins!
Weggeräumt den alten Plunder,
Weg die Läden, die Gardinen,
Licht und Sonne soll herein!
Ein Diener bringt in einem Käfig einen Papagei
Dort vor Herrn Morosus' Zimmer
Stell den Papageien zu!

DER PAPAGEI
laut und schrill
Kora ... Kora ... Kakadu.

AMINTA
Aber rascher, rascher, rascher,
Sputet euch, ich bin schon müde,
Diese Wände leer zu sehn.
Alle hämmern immer rascher

ZWEITE SZENE
Die Haushälterin kommt dernütig aus dem Zimmer des Morosus geschlichen

HAUSHÄLTERIN
Oh, gnädigste Frau, der Herr lässt Euch bitten ...

AMINTA
zu den andern
Flink, hab' ich gesagt, ihr Burschen!

HAUSHÄLTERIN
Ihr möchtet doch ein wenig Rücksicht nehmen ...

AMINTA
wie früher
Nicht gezaudert, nicht geplaudert!

HAUSHÄLTERIN
Das Gehämmer macht ihm Kopfschmerzen.

AMINTA
wie früher
Mittags will ich's fertig sehn.

HAUSHÄLTERIN
Er hat schlecht geschlafen, er braucht seine Ruh'.

DER PAPAGEI
schrill
Kora ... Kakadu.

HAUSHÄLTERIN
Wenn Ihr nur ein Viertelstündchen pausieren könntet...

AMINTA
ohne auf sie zu achten, auf zwei Packträger zu
Ah, da bringt ihr das Clavecin. Hierher in die Ecke! Und siehe, der Maestro in persona!

DRITTE SZENE
Die Haushälterin geht mit allen Zeichen der Verzweiflung ab. Aminta dem Henry und Farfallo entgegen, die als Gesangslehrer - mit einer Rolle in der Hand - und als Klavierbegleiter verkleidet sind

AMINTA
Salute, Maestro! Wir können gleich mit der Sing-stunde beginnen.
Zu den Arbeitern
Weg, ihr Burschen, bis ich euch wieder holen lasse!
Die Arbeiter verschwinden mit Zwinkern und Lachen

HENRY
als Gesangslehrer
Dies mein Begleiter auf dem Cembalo. Ich hoffe, Ihr seid bei Stimme und wir können gleich beginnen. Hier Euer Part:
Überreicht ihr eine Rolle
Die Arie aus Monteverdis ,L'incoronazione di Poppea, I.

FARFALLO
präludiert auf dem Cembalo

AMINTA
beginnt die italienische Arie
Sento un certo non so che,
Che mi pizzica e diletta,
Dimmi tu che cosa egli è
Damigella amorosetta.
Ti farei ti direi
Ti direi ti farei,
Ma non so quel ch'io vorrei,
Ma non so quel ch'io vorrei.

HENRY
bei einer Pause unterbrechend
Brava, brava! Ma piü mosso, piú passionato! Ich falle dann beim Duo ein.

AMINTA
singt lauter und kräftiger
Se sto teco il cor mi batte,
Se tu parti io sto melenso,
AI tuo sen di vivo latte
sempre aspiro e sempre penso.

MOROSUS
kommt aus dem Nachbarzimmer herausgestürzt im losen Morgengewand, den Kopf und die Ohren mit einer Art Turban d___ umwunden, hinter ihm die Haushälterin
Habt Erbarmen, macht ein Ende!
Oh, ich kann, ich kann nicht mehr!
Auf den Knien lasst Euch bitten:
Eine Pause, eine Pause!

AMINTA
singt weiter
Duett (Argia und Polinice) aus der Oper »Eteocle e Polinice» des Giovanni Legrenzi (Venedig 1675
Dolce Amor!

HENRY
Bendato alato!

BEIDE
Deh consola, deh consola il mio martir!
E per far ch'io goda a pieno,
Rendi pace a questo seno,
Che ferito da te sol,
Da te sol spero il gioir!

MOROSUS
gleichzeitig
Nein, das kann kein Mensch ertragen,
Das ist ärger als die Hölle,
Das ist ärger als der Tod.
Wie sich flüchten, wie sich retten?
Oh, wie find' ich meine Ruh!

DER PAPAGEI
Kora ... Kora ... Kakadu.

HAUSHÄLTERIN
gleichzeitig
Ach vergebens war mein Warnen!
Ach, wie hab' ich ihn angefleht,
Dass sie ihn mit List umgarnen,
Jetzt kommt aller Rat zu spät!

FARFALLO
applaudierend
Brava, Brava! Bravissima!

HENRY
Sono contentissimo! Nur mehr Schwung noch, da capo also!

MOROSUS
verzweifelt
Nein! Nein!

HAUSHÄLTERIN
Wie sie ihn quälen. Es ist eine Schande!

AMINTA
Gerne da capo! Kümmert euch nicht um diesen Narren!

Alle zusammen

HENRY
zu Farfallo
Also avanti, comincia!

FARFALLO
präludiert am Cernbalo

MOROSUS
Nein! Nein! Meine Ruhe, meine Ruhe!

Wie sich flüchten, wie sich retten?
Oh, wie find' ich meine Ruh?

DER PAPAGEI
schrill
Kora ...Kora...Kakadu!

VIERTE SZENE
Die Tür öffnet sich. Der Barbier tritt breitspurig herein. Alles wird sofort still

BARBIER
spricht
Seine illustre Lordschaft, der Chief-Justice, werden in wenigen Augenblicken hier erscheinen, begleitet von zwei Notaren der hohen Kammer.
Zu Henry und Farfallo
Maestro, ihr begreift die Wichtigkeit. Zu anderer Stunde also!

Henry und Farfallo verabschieden sich mit bedeutungsvollen Gesichtern

MOROSUS
Bei Gottes Gnade, Ihr seid zur rechten Zeit gekommen, sonst hättet Ihr mich nach Bedlam führen müssen!
Leise
Ist alles geordnet? Die Scheidung vorbereitet?

BARBIER
leise
Ich habe sie bombardiert mit allen Argumenten und auch ein paar klingende ihnen in die Taschen geschoben. Gleich beginnt die Verhandlung.

MOROSUS
Aber wird sie nicht schreien, wird sie nicht Spektakel machen? Meine Ohren sind ganz wund, ich ertrag's nicht mehr. Oh, Schneidebart, versuch's doch erst gütlich mit ihr, ich vertrag' kein Gezänk. Biet ihr alles, was sie will, nur Ruhe will ich, meine Ruhe!

BARBIER
leise
Ich will's probieren!
Er schreitet gravitätisch auf Aminta zu' die dem leisen Gespräch der beiden markiert misstrauisch zugeblickt hat
Mit Reverenz! Vieledle Dame!

AMINTA
ebenso
Vieledler Barbier!

BARBIER
pompös
Ich kann des Eindrucks
Mich nicht erwehren,
Als ob Eure Ehe
Nicht die glücklichste sei.

AMINTA
spitz
Da irrt Ihr Euch mächtig,
Da irrt Ihr Euch sehr,
Ich fühle mich prächtig,
Und wünsch' mir nichts mehr.

BARBIER
Doch meint' ich zu hören
Vorhin an der Türe,
Erbitterte Rede,
Geharnischten Streit.

AMINTA
Das ist doch alltäglic
In jeglicher Ehe,
Man zankt sich, erregt sich,
Und wird wieder gut.

BARBIER
Doch klagt Herr Morosus,
Ihm ging es ans Leben,
Er wollt Euch nicht länger,
Er hält es nicht aus.

AMINTA
So bin ich die Sanfte
Und will ihn erdulden,
Ich nehme das Kreuz
Demütig auf mich.

BARBIER
leise zu Morosus hinüber
Oh, die ist hartgesotten in allen Satansfeuern! Die Klette kriegt Ihr nicht so leicht los.

MOROSUS
leise
Biet'ihr Geld! Mein halbes Vermögen! Nur Ruhe will ich, Ruhe!

BARBIER
jetzt in anderem Ton, leise, vertraulich zu Aminta
Lasst doch klüglich mit Euch reden,
Nehmet Euren Vorteil wahr.

AMINTA
Gerne, gerne.

BARBIER
Seid vernünftig!

AMINTA
Nur Morosus war der Narr!

BARBIER
Nun, so hört doch!

AMINTA
Ja, ich höre!

BARBIER
Herr Morosus hat viel Geld.

AMINTA
mit einem Knix
Nur um dieser Tugend willen
Hab' ich mich ihm beigesellt.

BARBIER
Und er bietet tausend Pfunde,
Wenn Ihr ihm die Freiheit lasst.

AMINTA
Ha, ich lache! Tausend Pfunde!
Ha, wie Ihr vergnüglich spasst!

MOROSUS
von rückwärts
Biete doppelt, biete weiter!
Alles, alles,
Zahle ich für meine Ruh!

BARBIER
Zwei ... dreitausend ... vier ... nein fünfe...

AMINTA
Bietet, bietet immerzu!

BARBIER
Seid vernünftig. . .

AMINTA
Nein, ich lache
Mir die Seele frei.
Glaubt Ihr, dass mir meine Ehre
Für ein Brosam käuflich sei?
Ein Volkslied parodierend und psalmodierend mit pathetischironischer Geste
Treue hab' ich ihm geschworen,
Treue bis ins kühle Grab,
Und ich will die Treue halten,
Die ich ihm geschworen hab'.

MOROSUS
Oh, du Luder ...
vorbrechend

AMINTA
höhnisch
Nur Eure edle Gattin!

MOROSUS
Gottlob nicht mehr lang.

AMINTA
parodistisch schwärmend
Oh, ewig, ewig. Ich lasse nicht von dir!

MOROSUS
keuchend
Oh,...oh, ...sie höhnt mich noch! Sie macht mich rasend... oh, ich ersticke vor Wut ...

FÜNFTE SZENE
Die Haushälterin stürzt herein

HAUSHÄLTERIN
Gnädigster Herr ... zwei Karossen sind angefahren mit vornehmen Herren.

MOROSUS
aufatmend
All, ich fange wieder an zu leben.

BARBIER
beim Fenster hinaussehend
Viktoria! Ihr seid gerettet. Der Chief-Justice mit den Advokaten. Aber so, in diesem Morgenflaus, dürft Ihr nicht Seiner Lordschaft entgegen. Fort, fort, den Galarock an und die Orden, sie müssen sehen, mit wem sie hier zu schaffen haben.

MOROSUS
Ja, gleich komm' ich. Entschuldigt mich bei den hohen Herren, in zwei Minuten bin ich respektvollst zur Stelle.
Er verschwindet mit der Haushälterin ins Nebenzimmer

SECHSTE SZENE
Es treten ein Vanuzzi, Farfallo, Morbio, der erste als Chief-Justice mit riesiger weisser Perücke, Brille, der goldenen Kette und dem schwarzen Wams. Die beiden andern als Advokaten gekleidet. Vanuzzi als Chief-Justice pompös mit dem langen Goldknaufstock auf den Boden stossend

VANUZZI
Im Namen Seiner Majestät, im Namen des Parla-ments! Sind die Appellanten zur Stelle: Sir Morosus und Lady Morosus?

AMINTA
Spar deinen Bass für später, Vanuzzi! Wir sind unter uns.

VANUZZI
Haha, tapfere Aminta, wie wacker du teufeln kannst!

BARBIER
O jemine, ich hab' selber Angst gekriegt, so hat sie den Armen gepfeffert, gesalzen, gesotten und getrüffelt, er kocht schon, er siedet im eigenen Fett: in einem Stündchen ist der Braten gar und wir könnenAtem holen.
Nur noch dieses letzte Spässchen,
Und dann ist er auskuriert.
Munter also und vergnüglich,
Bis er selber munter wird.

VANUZZI
rasch die Verkleidung wegwerfend und tanzend
Ach, ich schwitze, ich ersticke,
Der Talar macht mich ganz schlapp,
Fort das Amtszeug, die Perücke
Und ein wenig Luft geschnappt.

MORBIO
Nein, man kann nicht richtig lachen,
Wenn man so in Würden steckt.
Auf den Mantel, los die Krause
Und die Beine grad gestreckt!
(Sie tanzen beide zusammen)

FARFALLO
Aminta fassend
Rasch ein Tänzchen noch, Aminta,
Das beflügelt Witz und Blut,
Hat man sich recht umgeschüttelt,
Schmeckt ein Spässchen doppelt gut.

AMINTA
mit ihm
Würde, Würde, meine Herren,
Ehrt das Ansehn des Gerichts!
Würd' er so uns überraschen,
Wär die ganze Müh' für nichts.

VANUZZI, FARFALLO, MORBIO
zusammen
Nur noch diese letzte Runde,
Rechtsherum und linksherum
Und wir tun schon wieder würdig
Und wir stehn schon wieder stumm.

Sie haben die Kostüme wieder angezogen, die Perücken aufgesetzt und stehen ernst und gravitätisch wie beim ersten Auftreten. Die ganze Szene muss wie im Flug blitzschnell und pantomimenhaft vorüberstreichen und genau die Position beim ersten Eintreten erreicht werden

SIEBENTE SZENE

MOROSUS
im Staatskleid, erscheint, gefolgt von der Haushälterin, verbeugt sich tief
Meinen submissesten Respekt.

VANUZZI
von oben herab
Wir sind von Eurer causa verständigt.
Zu den Advokaten
Beliebt es, doctores, so beginnen wir.
Auf eine Geste des Morosus hin tragen die Haushälterin und der Barbier einen Tisch in die Mitte der Szene. Auf derMittelseite nimmt Vanuzzi als Chief- Justice Platz, rechts und links Morbio und Farfallo als Beisitzer

VANUZZI
Es haben der hochgeborene Lord Morosus und die hochgeborene Lady Morosus das Ansuchen erhoben, ihre Ehe zu lösen ...

AMINTA
Ich protestiere. Ich hatte nie ein derartiges Ansuchen gestellt.

VANUZZI
Hem, hem, das schafft insoferne complicationes, als der Petent obligiert ist, die Gründe vorzubringen, welche ein divortium legitimum argumentieren.

BARBIER
leise übersetzend
Eine Scheidung zu begründen.

VANUZZI
Erklärt ihm, doctores, die impedimenta, welche das Gericht anerkennt per dirimere matrimonium.

BARBIER
leise
Sie werden Euch die Scheidungsgründe aufzählen.

FARFALLO
pathetisch
Impedimenta sunt duodecim ...

MORBIO
übersetzend
Zwölf sind der Hindernisse.

FARFALLO
Quae irritum rendant matrimoniurn,

MORBIO
Welche eine, Ehe aufheben.

FARFALLO
Sunt:

MORBIO
Es sind:

FARFALLO
Error conditio, voturn, cognatio, crimen, cultus dis-paritas, vis, ordo, ligamen, honestas, impotentia ...

MOROSUS
Was will er? Was meint er? Ich habe nur das letzte Hindernis verstanden.

VANUZZI
zu Farfallo
Expliziert ihm doch, doctissime! Seht ihr nicht, der Petent ist totaliter in statu ignorantiae.

FARFALLO
Also ich expliziere. Ad primum: error, wenn Ihr ge-meint habt, eine andere Person zu heiraten, als die Ihr geheiratet habt ...

MOROSUS
begeistert
Das ist es Illustrissime! Ich meinte, um eine schweigsame Frau zu werben und habe einen Vulkan geheiratet, eine Xantippe, eine Satansschwester, ich schwöre es, Illustrissime, es war ein errort

VANUZZI
aufklopfend
Diese Art des errors genügt nicht, sie ist zu gewöhnlich. Diesem Irrtum verfällt jeder Mann. Wir haben alle gemeint, sanfte Mädchen zu heiraten, und wer hat dann seine Frau je schweigsam und folgsam befunden! Erklärt ihm, doctissime, die Formen des error, welche das Gericht einzig anerkennt.

FARFALLO
Der error hat verschiedentliche Formen. Primum: error personae: wenn Euch eine fremde Frau unterschoben war. Secundum: error fortunae: wenn ihr sie reich glaubtet und sie war arm. Tertium: error qualitatis, wenn ihr sie virginem desponsam, als erklärte Jungfrau, heiratet und fandet sie corruptam ...

BARBIER
vortretend laut
Ecco ! Ich bezeuge, ich bezeuge, sie hat Umgang gehabt mit einem andern Mann.

AMINTA
Er ist bestochen, er lügt! Ich habe mit niemand Umgang gehabt als mit meinem ehlichen Gatten. Ich beschwöre es.

VANUZZI
Das wird sich weisen.
Zum Barbier
Habt Ihr Zeugen für Eure Anschuldigung?

BARBIER
Sehr wohl, Euer Gnaden, und sofort zur Stelle.

ACHTE SZENE

BARBIER
geht zur Tür, öffnet sie. Herein treten Isotta und Carlotta in der gleichen Verkleidung wie vordem
Hier diese beiden ehrsamen Damen.

VANUZZI
Könnt ihr bezeugen, dass Lady Morosus Umgang hatte mit einem anderen Mann als Sir Morosus?

CARLOTTA
Dös man i. Da leist ichs Jurament darauf.

ISOTTA
Auch ich will es beeiden.

BARBIER
Ihr seht, hohe Herren!

AMINTA
Ich lasse mich nicht verleumden, das sind gekaufteWeiber!

CARLOTTA
Was? Du Gschnaufte, selber hast dich kaufen lassenvon dem alten Teppen!

ISOTTA
Ich verachte die Person zu sehr, um ihr zu erwidern!

AMINTA
Lüge, Verleumdung! Meine Ehre, meine Ehre!

CARLOTTA
Die liegt auf'm Misthaufen!

MOROSUS
O Gott, mein Kopf, mein armer Kopf!

BARBIER
beruhigend
Meine Damen, meine Damen, bitte nicht alle zusammen zu sprechen!

ISOTTA
auf Aminta zutretend
Hast du die Stirne,
Frech es zu leugnen,
Dass du dem ander
Zu eigen gewesen
Bei Tag und bei Nacht?

AMINTA
Lüge, Verleumdung!
Erbärmliche Lüge!
Niemals, nein, niemals
Hab' ich die Ehre
Der Ehe entweiht.

HAUSHÄLTERIN
vorn an der Seite der Bühne
Endlich, endlich
Muss es sich klären.
Lange schon, lange
Wittre ich Unrat,
Fühle ich Trug.

BARBIER
auf der andern Seite der Bühne, sich die Hände reibend
Jetzt geht der Wirbel
Gut durcheinander,
Weiter, nur weiter
Wacker spektakelt !
Jetzt geht es famos.

MOROSUS
ganz gebrochen
Dieses Lärmen, dieses Brüllen,
Das die Ohren mir zerstückt!
Wär nur alles schon zu Ende,
Denn sonst werd' ich noch verrückt.

VANUZZI
Meine Herren, meine Damen! 0 keiner hört auf mich!

MORBIO
Man müsste disziplinariter vorgehen.

FARFALLO
Oder die Sitzung aufheben.

VANUZZI
mit dem Stock aufstossend
Silentium!

AMINTA
sich auf den Knien vor den Tisch hinstürzend
Richter, schützet meine Ehre!
Nur aus Hass, aus Neid und Galle,
Dass mich Sir Morosus wählte,
Lügen diese frechen Weiber!
Bei den Sternen will ich's schwören,
Gott im Himmel soll mich hören:
Niemals hab' ich ihn betrogen,
Treulich hielt ich ihm die Treu.

BARBIER
Schon möglich, schon möglich - aber das war insofern nicht schwierig, als Ihr mit ihm bloss zwölf Stunden verheiratet waret. So lange kann sogar ich meiner Alten treu bleiben. Aber vorher, Lady Morosus, vorher - das ist das punctum saliens, der Punkt, welcher springt und im vorliegenden Falle ein wenig stinkt ...
Zu Vanuzzi
Hohes Gericht, ich habe einen weiteren Zeugen bereit, der beeiden kann, die Gunst - dieser tugendhaften Dame in persona genossen zu haben.

VANUZZI
zu den beiden andern hinüberfragend
Doctores?

MORBIO
Ich stimme bei.

FARFALLO
Ich stimme zu.

VANUZZI
So führt ihn vor.

NEUNTE SZENE
Barbier öffnet abermals die Tür, herein tritt Henry, verkleidet und mit einem falschen Bart, der ihn unkenntlich macht

VANUZZI
Ihr kennt diese Dame?

HENRY
Sehr wohl, Eure Lordschaft.

VANUZZI
Ich meine, seid Ihr näher bekannt gewesen mit ihr ... habt Ihr ... habt Ihr mit ihr Umgang gepflogen?

HENRY
Gewiss, Eure Lordschaft!

VANUZZI
Ich meine . . . näheren Umgang, dies ist die Frage ... Habt Ihr sie näher gekannt ... ich meine: carnaliter.

MORBIO
mahnend fragend
Carnaliter!

FARFALLO
ebenso
Carnaliter!

MOROSUS
leise zum Barbier
Was heisst das? Carnaliter?

BARBIER
ebenso leise
Fleischlich, Euer Gnaden, fleischlich.

HENRY
sich verbeugend, leise
Jawohl ... ich beeide es.

VANUZZI
zu Aminta
Was habt Ihr zu antworten?

AMINTA
ausweichend
Ich habe nie einem andern Manne angehört als meinem Gatten. Ich beschwöre es.

VANUZZI
Und kennt Ihr diesen Zeugen?

AMINTA
erregt ausweichend
Ich kenne ihn nicht mehr! Ich will ihn nicht kennen.

HENRY
auf sie zutretend
Willst du wirklich mich nicht kennen?
Ist dein Sinn so wandelbar?
Willst du wirklich Lüge nennen,
Dass dein Herz das meine war?
Deine Lippen, deine w___en,
Die ich zärtlich oft umfangen,
Deine Hand, dein süsses Haar?
Sind sie all, die sel'gen Stunden
Unserer Glut Lind Zärtlichkeit,
So vollkommen dir entschwunden,
Dass dein Blick den meinen scheut?
Nein, Geliebte, o besinn dich,
Nicht verleugne deinen Freund!
Sieh mein Auge und sieh in dich,
Dass uns Liebe neu vereint.

AMINTA
scheinbar zornig
Weg, du Falscher! Weg, Verräter!
Lüge blickt aus dir mich an!
FrevIer, Heuchler, Missetäter!
Prahlerischer, feiger Mann!
Wärst du mir doch fern geblieben!
Ach, wir unglücksel'gen Frau'n,
Die getäuscht sind, wo sie lieben,
Und verraten, wo sie trau'n!

VANUZZI
Hem, hem! So leugnet Ihr nicht mehr, diesen Mann zu kennen?

AMINTA
sie wendet sich ab und verhüllt ihr Gesicht
Ach ...

BARBIER
laut zu Morosus
Sie ist überführt! Viktoria!

MORBIO
Eure causa ist gewonnen! Ich gratuliere!

HAUSHÄLTERIN
Ach, ich vergehe vor Freude!

CARLOTTA
Jetzt hat sie sich sauber eintunkt!

ISOTTA
So etwas gibt eine verständige Frau niemals zu.

BARBIER
Vivat Morosus! Viktoria!

ALLE
Vivat Morosus! Viktoria!
Alle umringen den ganz beglückten Morosus

MOROSUS
allen die Hände schüttelnd
Ach, ihr Guten, wie euch danken!
Endlich bin ich ihrer ledig -
Oh, die Seele blüht mir auf.
Niemand ahnt, was ich gelitten,
Niemand meine Seligkeit.

BARBIER
zu Vanuzzi
Das Verdikt, Eure Lordschaft! Wir wollen's gesiegelt und geschrieben!

VANUZZI
mit dem Stock aufstossend und sich erhebend
Da der Petent den Beweis erbracht hat, dass seine Gattin Lady Morosus nicht mehr als virgo desponsa in den Ehestand getreten, ist das impedimentum erroris qualitatis gegeben, und ich beantrage, Doctores, seine Ehe für nichtig zu erklären.

MORBIO
Ich stimme zu.

FARFALLO
aufstehend
Ich opponiere.

MORBIO
Ihr opponiert?

BARBIER
scheinbar erschreckt
Er opponiert?

CARLOTTA
ebenso
Er opponiert?

HAUSHÄLTERIN
Er opponiert?

ISOTTA
ebenso
Er opponiert ?

MORBIO
Er opponiert?

MOROSUS
Oh Gott, was ist das? Er opponiert?

FARFALLO
Ich opponiere. Der contractus matrimonii besagt mit keinem Worte, dass die Tugend ante nuptias der Lady Morosus eine conditio matrimoliii gewesen, ergo besteht kein error qualitatis.

MOROSUS
ängstlich
Was will er? Was sagt er?

VANUZZI
Hem, hem! Rectissime! Der gelehrte Doktor findet nicht in dem contractus, dass Ihr vor der Eheschliessung die Bedingung der virginitas gestellt habt.
Zu Aminta
Hat Sir Morosus vor der Hochzeit Euch befragt? -

AMINTA
Mit nichten.

VANUZZI
Dann liegt kein error vor. Und der Petent ist abgewiesen. Habe ich Eure approbatio, ihr Herrn?

MORBIO
Approbatio absoluta.

FARFALLO
Approbatio absoluta.

MOROSUS
zum Barbier
Was sagen sie? Was wollen sie?

BARBIER
Mir tut's bitter leid, Euer Gnaden, aber sie geben Eurer Bitte nicht nach.

MOROSUS
Aber sie hat doch mit dem andern geschlafen? Es ist doch bezeugt.

BARBIER
Aber ante nuptias, Euer Gnaden, vor Euch, und daran haben wir im Kontrakt vergessen. Ihr müsst sie jetzt behalten.

MOROSUS
Behalten? Ich sie behalten? Das Teufelsweib und noch die Schande dazu? Nein! Nein! Ich lass mich nicht entehren! Ein solches Weib, das noch dazu eine Dirne! Nein, das ist zuviel. Lieber krepieren! Lieber zugrundegehen. Wo sind meine Pistolen? Mein Degen? Einen Strick! Ich geh' ins Wasser! Ich stürz' mich vom Fenster! Nur keinen Tag mehr mit ihr, keinen Tag!

Alle um ihn herum und ihn von seinem Vorhaben abhaltend

VANUZZI
Bedenkt Euch doch! Herr! Ihr könnt noch appellieren.

MORBIO
Beruhigt Euch, nichts ist unumstösslich!

HAUSHÄLTERIN
Gnädigster Herr, schont Euer Leben!

BARBIER
Wir werden eben noch etwas finden.

CARLOTTA
Net so gach wegen so einem Weibsbild.

ISOTTA
Ihr werdet jederzeit Trost finden bei andern.

MOROSUS
sich losreissend
Lasst mich los! Zum Teufel mit euch allen' Ihr tötet mich mit eurem Geschrei! Nur Ruhe will ich! Ich ertrag's nicht mehr! Ich ertrag's nicht! Oh, nur niemanden mehr sehen! Nichts mehr hören! Tot sein, weg sein! Ruhe will ich, nichts mehr hören! Ruhe, Ruhe ...
Er wirft sich in seiner Verzweiflung auf eine Bettstatt, bohrt seinen Kopf unter die Decken und stopft sich die Ohren zu

BARBIER
hebt die Hand. Es wird plötzlich still. Henry und Aminta werfen die Verkleidung ab, gehen leise an die Bettstatt heran, wo Morosus stöhnend unter den Kissen liegt, und knien beide hin

FINALE

HENRY
kniend
eurer Ohm, nicht länger kann ich
Eure Not und Sorge schau'n.
Auf! Ermannt Euch und erwachet
Aus dem bösen Ehetraum!
Blickt um Euch! Nur Freunde seht Ihr!
All die Schrecknis, die Marter ist entflohn,
Und um Eure Liebe fleht hier
Euer Neffe, Euer Sohn!

MOROSUS
langsam sich erhebend, wirr um sich starrend, aufatmend
Henryl Gott sei Dank, Henry, mein guter Henry! Wo kommst du her? Es war doch erst ein andrer da. Und wer ist die ... das ist ja
erschreckend
das ist ja Timida.

HENRY
Nein, die wird Euch nimmer plagen,
Die ist fort für immerdar.
Nur Aminta ist geblieben,
Milde, wie sie immer war.

AMINTA
kniend
Wollet gütigst mir verzeihen,
Was Euch jene angetan.
Und wenn dann ein ganzes Leben
Hingegeb'ner Kindesliebe
Euren Groll beschwichtigen kann,
Nehmt als Wahre von den zweien,
Nehmt Aminta, die getreue,
Nun als Eure Tochter an!

MOROSUS
Wie? Was? Ich versteh' nichts. Aminta ist Timida und Timida ist Aminta? Und sie ist meine Frau und ist deine Frau? Bin ich in ein Rumfass gefallen? Hab' ich geträumt? Bin ich betrunken? Und die da, die Richter, die Doctores ...

HENRY
Sind meine Kameraden.
Vanuzzi, Morbio, Farfallo haben die Verkleidungen abgestreift und stehen in demütiger Haltung da

MOROSUS
Wie? Was? Kameraden ... am Ende gar von jener Schmierantenbande? Habt ihr ... habt ihr euch vielleicht gar einen Narren aus mir gemacht? Eine Posse mit mir aufgespielt, und ich bin gar nicht verheiratet, ich war gar nicht richtig verheiratet?
Er greift nach seinem Stock
Wie? Was? Ihr erlaubt euch Spässe mit mir, Sir Morosus? Das werd' ich euch heimzahlen, ihr Banditen! Mich habt ihr wie einen Esel geschunden, mich an der Nase geführt, dass ich Blut schwitzte! Mich habt ihr gehetzt wie ein Wildschwein und so gehusst, dass ich mich aufhängen wollte ...
Plötzlich aus seiner Wut umschlagend und furchtbar zu lachen anfangend
Hah, hah! Aber grossartig habt ihr das gemacht, ihr Burschen! Grossartig, grossartig! So mich altes Seekalb hineinzulegen, ihr frechen Landratten, ha, ha! Ganz recht habt ihr gehabt, Narren gehören gekämmt und Dummheit geprügelt. Ah, ihr Burschen, ihr Burschen, das hätt' ich nie gedacht, dass ihr so fixe Kerle seid.
Zu Vanuzzi
Warst du am Ende auch der Pfarrer, der mich getraut hat?

VANUZZI
noch ganz ängstlich
Allerdings.

MOROSUS
ihn umarmend
Dann warst du der pfäffischeste Pfaff, den ich je gesehen.
Zu Morbio und Farfallo
Und du der advokatischeste Advokat, und du der mauserigste Notar meiner sechzig Jahre.
Er umarmt sie. Zu Carlotta und Isotta
Und ihr, Kinder, famos, famos, wie ihr einen Mann betrügen könnt, jede kriegt einen Kuss. Nein, so mir das Fell zu gerben, ausgezeichnet! Ich hab' euch bitter Unrecht getan, aber fortan will ich eure Kunst respektieren, in all' eure Operas will ich gehen, und wenn ihr so mich zum Lachen bringt, wie ich heute mich selber auslache, dann kriegt ihr fünfzig Guineen in blankem Golde.
Zu Aminta
Ach, du Kalfakterin, wie entzückend du bist, seit du wieder süsse Augen machst. Fast hätt' ich l___, dich noch einmal zu heiraten. Aber nein - keine Angst, ich bin kuriert, für immer kuriert und von allem! jetzt weiss ich erst: Es gibt nichts Besseres, als mit guten Menschen heiter zu sein.
Zur Haushälterin
Heda! Wein her, wir wollen eine Flasche trinken auf den dümmsten Narren von England und auf die frechsten Burschen und hübschesten Frauen des Königreichs!
Zu den Schauspielern
Und ihr, wenn ihr dazu Musik machen wollt, mich ficht's nicht mehr an, spektakelt soviel ihr wollt ' Wer einmal eine schweigsame Frau gehabt, der kann allen Lärm auf der Welt vertragen. Also vorwärts und los!

Er setzt sich mit Aminta und Henry an den Tisch. Sein Platz ist derselbe, den früher Vanuzzi als Chief-Justice einnahm, rechts sitzt Aminta, links Henry. Die Schauspieler haben sich im Hintergrund aufgestellt und beginnen, mit gleichzeitigen Tanzfiguren, zu singen und Musik zu machen

VANUZZI
Die Ihr feindlich aufgenommen,
Unsre Kunst, sie grüsst Euch jetzt,
Denn kein Mahl ist je vollkommen,
Dem sie nicht die Becher netzt.

MORBIO
Ohne sie glänzt keine Freude,
Ohne sie erglüht kein Glück:
Ewig sind verschwistert beide,
Holde Liebe und Musik!

ISOTTA
Nur wo sie die Schwingen breitet,
Wird Gemeinsamkeit zum Fest,
Tor drum jeder, der der sie meidet,
Selig, wer sie walten lässt.

CARLOTTA
Selig, wer sich ihr verbindet
Und sein Herz den Tönen gibt.
Selig, wer sie in sich findet,
Und begnadet, den sie liebt.

FARFALLO
Jeden Gram kann sie bemeistern,
Schmerz und Schwermut lindert sie,
Hellster Geist von allen Geistern:
Gottes Hauch, du, Melodie!

BARBIER
Mach auch diesem, der dir grollte,
Wiederum die Seele weit,
Schenk ihm endlich deine holde
Erdenschwester: Heiterkeit!

ALLE MITEINANDER
Alles Frohe, alles Schöne
Sir Morosus immerdar!
Alles Frohe, alles Schöne
Unserm vielgeliebten Paar!
Freude ihm, der Freude scheute,
Heiterkeit, die er gehasst,
Ewig sei sie so wie heute
Hier in diesem Haus zu Gast.

Morosus, tiefgerührt, hat dem Gesange zugehört und dankt nach allen Seiten. Auf ein Zeichen Vanuzzis treten die Sänger an die Tür zurück

VANUZZI
Und nun Freunde: Ausgesungen!
Junges Glück bleibt gern allein.
Ist uns dieses Spiel gelungen,
Soll's nur neuer Ansporn sein,
Allen Danks, den wir errungen,
Immer wieder wert zu sein.

BARBIER
Und jetzt rasch und heimlich weiter,
Nicht gesäumt und nicht gestört!
Rechter Spass bleibt dann nur heiter,
Wenn er nicht zu lange währt.

Sie haben die Tür geöffnet und verschwinden ganz leise mit Knixen und Verbeugungen, einer nach dem andern

HAUSHÄLTERIN
Noch ein Wunsch für frohe Stunden ...

MORBIO
Ein paar Takte noch Musik ...

FARFALLO
Eine letzte leise Runde ...

VANUZZI
.. Und schon ziehn wir uns zurück.

CARLOTTA
Einen Knix noch ...

ISOTTA
... Ein Verneigen ...

VANUZZI ...
...Einen Gruss ...

FARFALLO
. . . Ein letztes Wort . . .

VANUZZI
. . . Und dann Stille nur und Schweigen. . .

BARBIER
... Und jetzt sind wir endlich fort.

LETZTE SZENE
Der Barbier hat die Tür hinter sich geschlossen, es ist vollkommen still geworden. Morosus mit Aminta und Henry allein an dem Tische

MOROSUS
strahlend beglückt sich in den Sessel zurücklehnend
Wie schön ist doch die Musik - aber wie schön erst, wenn sie vorbei ist!
Er trinkt behaglich ein Glas Wein und blickt Aminta lange an
Wie wunderbar ist doch eine junge, schweigsame Frau, - aber wie wunderbar erst, wenn sie die Frau eines andern bleibt! Wie schön ist doch das Leben, - aber wie schön erst, wenn man kein Narr ist und es zu leben weiss! Ah, meine Guten, grossartig habt ihr mich kuriert, noch nie hab ich so glücklich mich gefühlt. ..
Er zündet sich eine Pfeife an und bläst behaglich den Rauchvor sich hin
Ach, ich fühle mich unbeschreiblich wohl. Nur Ruhe!
In den Sessel zurückgelehnt, fasst mit der Rechten undLinken dankbar die Hände Amintas und Henrys
Nur Ruhe! Aaah - - - Aaah - - - Aaah! - - -
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