Samsas Traum 20 Schritte Freiheit (Teil IV) Lyrics

Ich fühlte mich taub und wünschte mir meine Seele von meinem Körper trennen zu können um einfach fort zu fliegen; in meiner Kehle steckte ein Schrei fest, der den Weg zu meinem Mund nicht fand. Das Fahrzeug verlangsamte sich und fuhr rückwärts weiter, bis von außen jemand drei Mal mit der flachen Hand gegen die Panzerung schlug. An der hinteren Seite des Wagens wurden quietschend die Türen aufgerissen, in den Innenraum fiel grelles Tageslicht und blendete mich. Niemand wagte es, sich von der Stelle zu bewegen. Ich kniff meine Augen zusammen, stellte mich auf die Zehenspitzen und konnte mehrere große, weißgekleidete, schmale Gestalten ohne Gesichter erkennen, die seltsame Hüte trugen und in ihren Händen lange gläserne Zangen hin und her schwangen, die die Sonnenstrahlen reflektierten. Sie standen auf einem weitläufigen asphaltierten Platz, den stählerne Zäune eingrenzten. Unweit des Panzerwagens ragten steril aussehende, fabrikähnliche Gebäude in den leuchtenden Himmel, welche ihre Tore wie hungrige Mäuler aufgesperrt hatten, so, als ob sie darauf warteten gestopft zu werden. In den Hallen waren ratternde Maschinen und tausende ineinander verlaufende Rohre, Kabel und Fließbänder zu sehen, an denen weitere gesichtslose Wesen einer undefinierbaren Arbeit nachgingen, Container wurden hektisch umhergefahren, mit Schläuchen leergesaugt oder in trichterähnliche Vorrichtungen entleert, die in den Maschinen mündeten. Der Lärm, der mit dem Dampf aus den Schornsteinen der Gebäude in die Luft aufstieg, war unerträglich. Mit einem lauten Knall schlug eine an den Seiten mit Absperrungen versehene Rampe am offenen Ende des Fahrzeugs auf dem Boden des Innenraumes auf, die hinaus auf den nassen Asphalt führte. Durch die Fabrik schallte bald darauf ein gellender Signalton, langsam hielten alle Maschinen an, der Lärm verstummte. Sämtliche Arbeiter traten wortlos den Weg in Richtung des Panzerwagens an und stellten sich am Ende der Rampe in zwei Reihen auf; sie bildeten eine Schneise, die bis zum Eingang der Fabrik verlief. Ein weiteres Signal erklang, die weißen Geschöpfe hoben die Arme in die Höhe und ließen ihre gläsernen Zangen rhythmisch gegen die Werkzeuge des Gegenübers prasseln. Eine Gruppe von Arbeitern kam zielstrebig die Rampe hinaufgeschritten und begann, mit Fäusten auf die gefangenen einzuschlagen und sie aus dem Fahrzeug zu treiben, stießen sie auf Gegenwehr oder Widerstand, so setzten sie ihre Zangen ein, die bei einem Aufprall einen Blitz freigaben, der die Haut der Getroffenen verbrannte und aufplatzen ließ. Nach und nach lichteten sich die Reihen im Fahrzeug, in unbeschreiblicher Panik preschten die Insassen, einer nach dem anderen, mit schmerzverzerrten Gesichtern aus dem Wagen hervor, fielen nach nur wenigen Schritten nieder und rollten schreiend die Rampe hinunter. Mein Instinkt befahl mir, unter die am Boden des Innenraumes liegenden Kadaver der alten und schwachen Gefangenen zu kriechen und mich tot zu stellen, trotzdem konnte ich meinen Blick nicht von dem abwenden, was sich außerhalb des Panzerwagens abspielte. Am unteren Ende der Rampe häuften sich die in Agonie zuckenden Leiber zu einem Berg an, auf den unbarmherzig weiter eingedroschen wurde. Ich sah sie alle brechen, die Arme der Patienten, die sich aufzurichten und zu flüchten versuchten, hielten dem zu trangenden Körpergewicht nicht stand und knickten wie Streichhölzer um; an den Schultern und Ellbogen riss das Fleisch auseinander, zersplitterte Knochen bahnten sich durch die bleiche Haut ihren Weg hinaus in die nackte Realität; unzählige Gesichter schmetterten haltlos auf den Boden und scheuerten über den sich langsam lückenlos mit Blut bedeckenden Asphalt; die Verzweiflung ließ den Gefangenen keine andere Wahl, als immer und immer wieder zu versuchen, unter Zuhilfenahme der berstenden und jeden Dienst verweigernden Gliedmaßen aufzustehen, bald hingen zerfetzte Adern, Sehnen und Nervenbahnen aus den Wunden der offenen Brüche heraus; Gelenke platzten auseinander, die Patienten starrten ungläubig und naiv auf die nur noch an eingerissenem, seidenem Fettgewebe schlaff von ihren Körpern herabhängenden Arme und konnten nicht begreifen, dass das was sie sahen die Wahrheit war! - Aber es war die Wahrheit.

Plötzlich entdeckte ich in dem Chaos Lao-Tse, die weißen Gestalten traten auf ihn ein, traten in sein Gesicht, traten in seinen Bauch, stellten sich auf seinen Kopf bis der Kiefer brach und seine Zunge unter einem Stiefelabsatz zerquetscht wurde. Mein Herz verkrampfte sich bei diesem Anblick, der Horizont schrumpfte in Millisekunden zu einem kleinen, sich am Ende des Universums befindenden, schwarzen Punkt zusammen.

Es ist egal was du sagst, es ist egal was du denkst, es ist egal was du fühlst, was du bewirkst, was du erreicht hast oder noch erreichen willst - irgendwann fickt dich einfach der Tod.

Nach und nach schoss man die Patienten wie Bälle durch die von den Arbeiten zum Eingang der Fabrik formierten Schneise, die stummen Mörder traten ihre Opfer von einem Stiefelpaar zum nächsten; Körper prallten auf Füße, Füße schnellten in Körper, das dumpfe und hohle Geräusch der vielen, immer schneller werdenden Tritte überlagerte bald die Schreie, das Würgen, das Wimmern, das um Gnade flehen. Der Leidensweg wurde von einem Händepaar beendet, das die Patienten brutal an den Beinen empor riss und in einen sich nach und nach füllenden, für die Maschinenfütterung bestimmten Container schleuderte. Zwei der weißen Gestalten kletterten in den Panzerwagen und begannen damit, die noch herumliegenden Leichen aus dem Fahrzeug zu werfen, als sie mich entdeckten sprang ich auf und -

Kannst du dich in die Haut eines Menschen versetzen, der die einzigen zwanzig Schritte Freiheit seines Lebens in Richtung seines Todes geht? Das kannst du doch, oder? Auch wenn du's nicht in vollem Umfang begreifen kannst, so hast du doch zumindest den Hauch einer Ahnung davon, wie sich das anfühlen muss, nicht wahr? Versuch mir nicht zu erzählen, dass du es nicht kannst, du hast lange genug gelebt, um zumindest ein, zwei Ereignisse verkraftet zu haben, die mit großen körperlichen oder seelischen Schmerzen verbunden waren. Und selbst wenn du noch jung bist und diese Erfahrungen erst vor dir liegen, so hast du dir immerhin deine Gedanken darüber gemacht was der Tod eigentlich bedeutet oder bedeuten könnte. Ich bin mir ziemlich sicher, dass du über die Fähigkeit des Reflektierens verfügst, und ich weiß, dass du die Gefühle anderer Menschen nachempfinden kannst, du musst es können. Kannst du aber auch nachempfinden, wie es ist, als Gefangener in einer Zelle zu leben, vielleicht sogar in ihr geboren worden zu sein, in der man weder stehen, sitzen, liegen, sich aufrichten oder überhaupt richtig bewegen kann? Über was denkst du eigentlich nach, wenn du dein ganzes Leben lang eingesperrt bist und nie etwas anderes gesehen, gehört oder empfunden hast als die beschränkten Eindrücke die dein beschränktes Dasein mit sich bringen? Entwickelst du überhaupt ein Bewusstsein? Als was empfindest du dich dann? Von was träumst du? Von Radioberichten, Wärtern, Anstaltsdirektoren, Patienten, Birken, Feldern, Panzerfahrzeugen und einem strahlenden blauen Himmel? Wie mag sich das für einen Menschan anfühlen, wenn er zwanzig Schritte auf seinen Tod zu stolpert und dabei ein lächerliches und erbärmliches Bild abgibt, weil er noch nie zuvor in seinem Leben gelaufen ist? Wenn die Knochen in seinen Gliedmaßen brechen, weil man ihn in seiner eigenen Zelle so fett und schwer gemacht hat, dass er sein eigenes Körpergewicht nicht mehr tragen kann. Ich denke dass du das nicht nachempfinden kannst, auch wenn du es wolltest. Selbst wenn du dir vorstellst, dass alles was dein Leben ausmacht einfach weg wäre, selbst wenn du das schlimmste Leid, das du jemals emfpunden hast, mit 1000 potenzierst, so würde diese Vorstellung nicht annähernd an das heranreichen wovon ich rede, denn am Ende bist und bleibst du ein

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